Iris Ockenfels; Foto: NDR, Christine Lutz

GRIMME ONLINE AWARD 2023


Interview mit Iris Ockenfels, Redaktionsleiterin beim Medienmagazin „Zapp“

Mehr Macher*innen für den Medienjournalismus

Interview: Christina Quast

Frau Ockenfels, wie steht es aktuell um die Medienkritik?

Man hört und liest ja immer mal wieder einen Abgesang auf den Medienjournalismus. Zu unkritisch, zu irrelevant sei der im Vergleich zu früher. Da schwingt die berechtige Sorge mit, dass durch den Abbau von Medienressorts in den Verlagen die Berichterstattung zu kurz kommen könnte. Und so bedauerlich die Entwicklung dort auch ist und obwohl immer wieder für Medienjournalismus gekämpft werden muss, habe ich doch Hoffnung: Wir haben eine große Vielfalt an Hörfunkangeboten, wie die Medienmagazine vom rbb oder vom BR. Online haben sich neben den wichtigen Mediendiensten Player wie „Medieninsider“ oder „Übermedien“ etabliert. Und wir bei „Zapp“ als einzigem Fernseh-Medienmagazin sehen uns sehr vielfältig gefordert. Denn das ist gerade eine der spannendsten Zeiten für Medienjournalist*innen. Es gilt ein Deutungsfeld zu beleuchten, das es ja zuvor so nicht gab: Die Tech-Riesen bestimmen den Diskurs auf Social Media, gleichzeitig suchen die großen Verlage nach Zukunftsstrategien – da knirscht es teilweise ganz gewaltig – und das öffentlich-rechtliche System steht vor einem Reformprozess und muss seine Daseinsberechtigung viel mehr erklären. All das gilt es kritisch zu begleiten und mit Recherchen zu hinterfragen und einzuordnen.

Die Medienkritik hat sich ins Netz bewegt, auch bei „Zapp“, das mehr bei YouTube und weniger im Fernsehen stattfindet.

Bei „Zapp“ haben wir uns vor gut zwei Jahren neu aufgestellt, um gezielt Kanäle von YouTube über Instagram bis Twitter zu bespielen und Geschichten zu erzählen, die ein noch breiteres, jüngeres und diverseres Publikum ansprechen. Wir sehen das nicht als Beschneidung, im Gegenteil. Wir machen „Zapp“-Videos zudem nicht nur für YouTube, sondern auch für die ARD-Mediathek. Und einmal im Monat haben wir die lineare Sendung im NDR-Fernsehen, die wir nutzen, um aktuelle Schwerpunkte zu setzen.

Social-Media-Kanäle folgen eigenen Mechanismen: Wie schwierig ist es, die Medienkritik daran anzupassen?

Es ist natürlich entscheidend, ein Team zu haben, das intensiv bei YouTube, Instagram oder TikTok unterwegs ist, um die Themen zu finden, die für Nutzer*innen relevant sind; zu wissen, was dort diskutiert wird. Gleichzeitig befinden wir uns mit den Inhalten auf Plattformen, die wir kritisch beleuchten. Sei es den Selbstoptimierungswahn bei Instagram, die Macht der Algorithmen bei YouTube oder die Prangerfunktion von Twitter. Gerade diese Mechanismen auf Social Media sind es ja, die den Medienjournalismus noch relevanter machen, und genau darüber lohnt es sich zu berichten.

Medienkritik wird nicht nur von Journalist*innen gemacht, sondern jede*r kann sofort mitreden. Inwiefern hat das einen Effekt?

Wir haben als Journalist*innen schon lange keine alleinige Deutungs- und Erklärungshoheit mehr. Wir können uns nur kritisch fragen, wie wir als Journalist*innen unserer Rolle gerecht werden – und damit einen Unterschied machen können. Das ist wichtig in Zeiten, in denen die Grenzen zwischen Journalist*innen, Aktivist*innen und Influencer*innen verschwimmen. Wie treten wir eigentlich auf? Atmen wir noch einmal durch, bevor wir die Debatte mit befeuern? Oder könnten wir eher ein bisschen entschärfen? Ich denke, dass auch Journalist*innen manchmal dazu beitragen, wenn Debatten überdrehen.

Gibt es weniger blinde Flecken und mehr Korrektiv, weil sich jede*r äußern kann?

Natürlich werden Fehler schneller entdeckt, das finde ich absolut positiv. Wenn wir nicht genau genug sind, laufen wir immer Gefahr, dass uns die Dinge um die Ohren fliegen. Gleichzeitig ist spannend, dass es eben neben den Medienjournalist*innen auch andere sind, die punktuell sehr gute Medienkritik betreiben, ob Jan Böhmermann, Rezo, „Reschke-Fernsehen“ oder die Podcast-Reihen „Cui Bono“ und „Boys Club“, die ich exzellent finde, oder auch die Springer-Berichterstattung beim SPIEGEL. Aber es braucht eben gleichzeitig die Medienredaktionen und -dienste, die sich quasi 24/7 damit beschäftigen, um auch wirtschaftliche Zusammenhänge oder Motivlagen der einzelnen Player zu beleuchten und Einordnung zu bieten; auch durch investigative Recherchen.

Wird auch ein neues Publikum erschlossen? Bekommen Themen mehr Reichweite?

Absolut, weil viele Akteur*innen eine eigene Community und Glaubwürdigkeit haben. Wenn wir uns mit dem Fall des „Angry German Kid“ bei YouTube oder mit Medizin-Influencer*innen bei Instagram beschäftigen, bekommen wir Aufmerksamkeit von neuen Gruppen, piksen eine neue Bubble an. Und wir merken: Die Nutzer*innen haben ein großes Interesse, sich auch kritisch mit Medienphänomenen und den Hintergründen zu beschäftigen.

Welche Bedeutung hat Medienkompetenz für die Medienkritik?

Wir verwenden den Begriff nicht explizit, obwohl wir immer versuchen, Medienkompetenz gleich mit zu erzählen. Wir merken, dass es ein großes Bedürfnis nach Einordnung und Orientierung gibt. Deshalb haben wir die Reihe „MedienWissen2go“ mit Mirko Drotschmann entwickelt. Da nehmen wir uns gezielt Themen vor wie beispielsweise den YouTube-Algorithmus, falsche Zahlen in der Berichterstattung oder große Medienskandale.

Nochmal zurück zu den Plattformen: Ist Medienkritik im Netz fragmentierter und selbstreferenzieller?

Fragmentierter ja, zu selbstreferenziell besser nicht, dann verlieren wir die Nutzer*innen aus dem Blick. Es ist sicher wichtig, dass wir uns immer wieder bewusst sind: Wir bedienen zwar auch die Mechanismen der Plattformen, auf denen wir uns bewegen. Aber entscheidend sind für uns die journalistischen Inhalte, die wir rüberbringen möchten. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns.

Zu Iris Ockenfels:

Iris Ockenfels ist Redaktionsleiterin beim Medienmagazin „Zapp“. Die gebürtige Rheinländerin war zunächst als Autorin, Reporterin und
Redakteurin bei den Panorama-Sendungen des NDR. Für die Abteilung Innenpolitik hat sie neue Formate für Social Media entwickelt.

Foto oben: NDR, Christine Lutz

Zu Christina Quast:

Christina Quast ist eine freie Journalistin und redaktionelle Mitarbeiterin an der Preispublikation des Grimme Online Awards.

Dieser Artikel ist entstanden für die Publikation zum Grimme Online Award 2023. Sie finden die gesamte Broschüre zum Download auf den Seiten des Preises:

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