Thomas Lückerath; Foto: DWDL/Walter

GRIMME ONLINE AWARD 2023


Wie das Internet Kritik diverser machte

Die Demokratisierung der Medienkritik

Thomas Lückerath

Seit der Gründung des ÖRR lag die Kontrolle von Radio wie Fernsehen über Jahrzehnte in den Händen von wenigen Auserwählten. Einerseits in den installierten Kontrollgremien bei ARD und ZDF. Andererseits bei einem Journalismus, der sich mit Radio und Fernsehen ein mitunter überhebliches Sendungsbewusstsein teilte. Qualität oder Anstand waren elitär und reaktionär definiert.

Erst mit dem Internet kam eine Demokratisierung der Medienkritik. Es waren nicht länger nur wenige Verlage, die publizieren konnten. Jede*r konnte es – so auch ein paar TV-Fans, die ab 2001 unter www.dwdl.de das Internet mit Fernsehkritik beglückten, und das frei lesbar für alle. Damals war Branchenjournalismus über das Massenmedium TV fast immer gedruckt und nur im teuren Abo verfügbar. Elitär. Und dann startete eine kostenlose Website ohne Verlag dahinter – das galt 2001 als extrem ungewöhnlich.

Das hat sich glücklicherweise geändert, gleich geblieben ist bei uns aber 22 Jahre später die Information Equality: Alles ist kostenfrei lesbar, erreicht damit gleichermaßen Praktikant wie Geschäftsführerin. Debatten über Qualität und Verantwortung von Medien werden über die Grenzen kostspieliger Fachdienste hinweg demokratisiert, weil produzierende und konsumierende Seite aufeinandertreffen. Aus der Website für TV-Fans wurde längst ein Branchendienst, mit einem Unterschied: Die Branche ist bei uns nicht unter sich.

Durch eine neue Vielfalt von Medienkritik im Netz bekommen viele Medien einen ungleich größeren Spiegel vorgehalten. Dabei kann Medienkritik viele Formen haben, etwa eine Bewertung von Handwerk, künstlerischem oder wirtschaftlichem Wert sein, ebenso wie die immer wichtigere Dimension von Verantwortung annehmen – und das im Journalismus ebenso wie in der populären Unterhaltung.

Entgegen aller Abgesänge jener, die Journalismus den Verlagen vorbehalten sehen, war Medienkritik nie stärker und spezialisierter als heute. „DWDL.de“ fokussiert sich auf diesem breiten Feld weitgehend auf das, was man einst Fernsehen nannte und heute sowohl linear als auch auf Abruf, also im Streaming, geboten wird.

Ob beim Versagen von WDR und SWR bei der Flut-Katastrophe von 2021 oder dem gerade erst überstandenen Irrweg von RTLZWEI bei der Verpflichtung eines untragbar gewordenen Schlagersängers: Immer wieder zeigte sich, wie effektiv es ist, wenn Medienkritik das Publikum einbindet, ob nun als Quelle oder Multiplikator.

Verfehlungen bleiben seltener unentdeckt. Eine große Chance, nicht ohne Risiko natürlich. Greift man journalistisch auf Meinungen zurück, muss man sich der Dynamiken von Social Media bewusst sein. Fünf Tweets zu Sendung Y machen kein Thema und drei schimpfende Internet-User*innen entsprechen nicht „dem Internet“. Und doch überwiegen bei verantwortungsbewusster Nutzung die Chancen, weil der Spiegel im Netz größer geworden ist und weitaus besser – sowie aus mehr Blickwinkeln – reflektiert, was früher zu oft ohne Korrektiv und ohne Chance auf Gegenöffentlichkeit gesendet wurde.

Zum Autor:

Thomas Lückerath ist Gründer und Chefredakteur des Medienmagazins „DWDL.de“, das seit 2001 über die deutsche Medienbranche berichtet. Er war in der Vergangenheit schon mehrfach Mitglied der Jury des Grimme-Preises und wurde 2014 mit dem Bert-Donnepp-Preis für Medienpublizistik ausgezeichnet.

Foto oben: DWDL/Walter

Dieser Artikel ist entstanden für die Publikation zum Grimme Online Award 2023. Sie finden die gesamte Broschüre zum Download auf den Seiten des Preises:

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