März 2022

Gesprächsreihe zu Verschwörungserzählungen

Eine Webvideo-Reihe der Grimme-Akademie

Seit mehreren Jahren beschäftigt sich das Team der Grimme-Akademie intensiv mit dem Thema „Verschwörungserzählungen“ und hat dabei empfehlenswerte Angebote verschiedenster Institutionen gefunden und interessante Expert*innen kennengelernt – und so entstand die Idee einer Webvideo-Reihe mit Interviews zum Thema. Der Medienbildungshub bietet kurze Informationen dazu und hat mit dem Team der Akademie gesprochen.

Montage aus Bildern der Gesprächsreihe

Montage aus Bildern der Gesprächsreihe „Akademie fragt nach“; Bild: Grimme-Institut

Die Grimme-Akademie widmet sich schon seit längerer Zeit den Themenkomplexen „Fake News“ und „Hate Speech“. Im Jahr 2018 wurde im Auftrag des Deutschen Volkshochschul-Verbandes eine Modulbox zu diesen Themen erstellt, 2020 wurde sie aktualisiert und um das Thema „Dark / Private Social“ ergänzt. 2021 entstand dann eine weitere Modulbox zu einem neuen, aber doch verwandten Themenschwerpunkt: Verschwörungserzählungen.[1]

Mit Unterstützung von Aycha Riffi, Leiterin der Grimme-Akademie, und konzipiert von Astrid Obermanns und Judith Kirberger sollte nun mit einer Webvideo-Reihe ein Ort geschaffen werden, an dem renommierte Gesprächspartner*innen aus Wissenschaft und Praxis zu Wort kommen und Einblicke in die vielfältigen Aspekte von „Conspiracy“, also Verschwörungserzählungen und -gruppen geben.

Ausgangspunkt für die Gespräche, die neben den beiden Initiatorinnen auch Rebecca Schäperklaus und Lena Reuters führten, sollte sein: Woran erkennt man eigentlich Verschwörungserzählungen und wie sind sie im großen Bereich der „Desinformation“ zu verorten? Was sind typische Feindbilder von verschwörungsgläubigen Menschen, und gibt es erkennbare, sich wiederholende Muster? Und natürlich die wichtige Frage zur Vermittlung von Medienkompetenz mit Blick auf das Thema.

Besonders vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen sei es eine wichtige Aufgabe des Grimme-Instituts, einen Transfer „von der Theorie in die Praxis der Medienbildung“ zu leisten, betont Direktorin Dr. Frauke Gerlach.[2] Mit vielfältigen Aktivitäten, Angeboten und Formaten setzt sich das Grimme-Institut daher mit aktuellen Themen in diesem Bereich auseinander.

Im Rahmen von „Akademie fragt nach“ sind bislang sechs Webtalks entstanden, die schon nach den ersten Folgen deutlich aufzeigen: Das Thema ist noch wesentlich komplexer und tiefgründiger als gemeinhin gedacht.

Zu Gast im Webtalk bisher:

  • Giulia Silberberger, Gründerin und Geschäftsführerin von „Der goldene Aluhut“, die sich als Speakerin und Workshopleiterin gegen Verschwörungsideologien, Extremismus und Sekten engagiert.
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  • Der Sozialwissenschaftler und Kulturexperte Jascha Stiller, der mit seinem Verein INSIDE OUT präventive Programme und Workshops zur politischen Bildung anbietet.
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  • Sabine Riede, Leiterin der Informations- und Beratungsstelle Sekten-Info NRW, bei der Betroffene von „radikalisierten Glaubensgemeinschaften“ Beratung und Hilfeleistungen finden.
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  • Pia Lamberty, die das Thema als Psychologin im Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) aus wissenschaftlicher Sicht erforscht. Ihr mit Katharina Nocun im Mai 2020 veröffentlichtes Sachbuch „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ stand auf der Spiegel-Bestsellerliste.
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  • Der Sozialwissenschaftler Florian Hessel, der als Lehrbeauftragter unter anderem Politische Psychologie, Wissenschaftssoziologie und Gesellschaftstheorie an der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum sowie am Zentrum Gender & Diversity der Universität Hamburg unterrichtet.
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  • Dr. Sarah Pohl, Leiterin der Zentralen Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen des Landes Baden-Württemberg (ZEBRA-BW), die zusammen mit ihrem Team religiös-neutrale Beratung für orientierungssuchende Menschen leistet.
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Tipp: Einen ergänzenden Einblick in den Themenkomplex bietet der Webtalk „Alles eine Verschwörung?! – Politische Medienbildung für Jugendliche und junge Erwachsene“ der Zentralstelle für Politische Jugendbildung im Deutschen Volkshochschul-Verband (DVV) in Kooperation mit dem Grimme-Institut, der anlässlich des diesjährigen Safer Internet Day (SID 2022) aufgezeichnet worden ist:

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Bei der Grimme-Akademie nachgefragt …

Zur Gesprächsreihe „Akademie fragt nach“ haben wir Astrid Obermanns, Judith Kirberger und Aycha Riffi von der Grimme-Akademie befragt:

Medienbildungshub: Ihr habt ja das Format eines Online-Talks gewählt. War das von vornherein so gedacht oder ist das der Pandemie geschuldet?

Akademie: Zum einen haben wir das Format aus sehr praktischen Gründen gewählt: Die Expert*innen, mit denen wir gesprochen haben, sind zeitlich ziemlich eingebunden, sei es in ihre Forschung, ihre aktivistische oder beratende Arbeit. Außerdem wurden – und das wird auch zukünftig so sein – Expert*innen aus ganz Deutschland angefragt.

Online-Talks haben hier den Vorteil, dass für die Interviewten ein geringer zeitlicher Aufwand entsteht. Und es bot sich ebenfalls an, die Interviews auf dem hausinternen YouTube-Kanal zu veröffentlichen.

Stand erst das Thema fest oder das Interview-Format „Akademie fragt nach“?

Das Thema war für uns der Startschuss für eine Interviewreihe, die als Idee schon länger im Raum stand.

Welche Zielgruppen wollt ihr mit der Reihe ansprechen? War das für die Auswahl von YouTube als Plattform entscheidend?

Wir möchten mit der Interviewreihe die Zielgruppe der Grimme-Akademie ansprechen: Das sind zum einen Menschen, die im Medienbereich arbeiten oder vorhaben, dort zu arbeiten und aktuell studieren oder in einer beruflichen Ausbildung wie einem Volontariat stehen. Mit unseren Projekten adressieren wir aber auch Multiplikator*innen, die Medienthemen vermitteln.

Nun ist das Phänomen Verschwörungserzählungen natürlich nicht ein rein medienwissenschaftliches Feld. Gesellschaftlich sind Verschwörungserzählungen gerade omnipräsent – man denke an die angeblichen Verschwörungen rund um die Corona-Schutzimpfungen. Die Konfrontation mit solchen Verschwörungserzählungen findet aktuell auf allen Ebenen statt, sei es in analogen Räumen, also in Gesprächen in der Schule, auf der Arbeit, oder eben im Digitalen.

Aktuelle Studien zeigen, dass mehr als die Hälfte der jungen Menschen mit Desinformationen, Fake News und auch Verschwörungserzählungen konfrontiert werden. Und das passiert eben häufig im Netz. YouTube haben wir als Medium gewählt, um auch diese junge Zielgruppe zu erreichen. In Zukunft wollen wir die Inhalte der Interviews aber zusätzlich auf anderen Kanälen veröffentlichen.

Nach welchen Kriterien habt ihr die Gesprächspartner*innen ausgewählt?

Uns ist es wichtig, nicht nur einen Aspekt von Verschwörungserzählungen abzudecken, daher wollten wir von Anfang an mit vielen Expert*innen aus verschiedenen Branchen sprechen. Zu Beginn der Planung haben wir diese grob in die Bereiche „Wissenschaft“ und „Praxis“ untergliedert und dann ausdifferenziert, beispielsweise in die Bereiche Aktivismus, Politik, Journalismus.

Von den eingeladenen Gästen werden sehr weitgehende Aspekte und innovative Lösungsansätze angesprochen. Wie wichtig war euch dies bei der Auswahl der Expert*innen?

Um Lösungsansätze zu generieren, ist es natürlich wichtig, konkrete Erfahrungen im Umgang mit Verschwörungsgläubigen zu haben, aber ebenso die wissenschaftlichen Erklärungsansätze hinter dem Phänomen zu verstehen. Der Sozialwissenschaftler Florian Hessel hat in seinem Interview beispielsweise eindrücklich erklärt, wieso Verschwörungserzählungen nicht erst seit Corona ein Thema sind und inwiefern Antisemitismus die Klammer um so viele Verschwörungserzählungen bildet.

Die Sozialpsychologin Pia Lamberty hat ihre Einblicke als Sozialpsychologin gegeben und die Gefahren für demokratische Gesellschaften erläutert. Solche wissenschaftlichen Aspekte sind bedeutend für den Umgang mit Verschwörungserzählungen, sei es nun im direkten Umfeld eines Menschen oder gesamtgesellschaftlich.

Dr. Sarah Pohl und Sabine Riede konnten in ihren Interviews wiederum sehr anschaulich über die Herausforderungen im direkten Umgang mit Verschwörungsgläubigen aus ihren Beratungsangeboten berichten. Und im Gespräch mit Giulia Silberberger vom „Goldenen Aluhut“ wurde deutlich, wie wichtig Medienkompetenz für die Resilienz gegen Verschwörungserzählungen ist.

Mit Jascha Stiller konnten wir über innovative Lösungsansätze reden: künstlerische und praxisorientierte Methoden als Möglichkeit für Perspektivwechsel und Selbsterfahrungen in der Aufklärungsarbeit zu Verschwörungserzählungen. Diese Methoden waren auch für uns neu.

Besonders spannend fanden wir den Blick auf die „radikalisierten Glaubensgemeinschaften“. Seid ihr in den Gesprächen auch teilweise überrascht gewesen von der Bandbreite des Themas und den nicht immer einfachen Abgrenzungen?

Tatsächlich umfasst das Thema viele Aspekte und die Gruppe der Verschwörungsgläubigen ist heterogen – vielleicht sollte man gar nicht von ‚einer‘ Gruppe sprechen. Das fängt bei Homöopathie-Anhänger*innen an und hört bei politisch extremistischen Gruppierungen auf.

Uns ist es ein Anliegen, nicht nur bestimmte Gruppen von Verschwörungsgläubigen wie z.B. QAnon in den Fokus zu nehmen. Vielmehr wollen wir in den Interviews die Gemeinsamkeiten insbesondere hinsichtlich der verwendeten Narrative beleuchten und zeigen, wie Verschwörungserzählungen überhaupt funktionieren. Dazu zählen bei Gruppen beispielsweise ähnliche Strategien hinsichtlich der Herstellung einer kollektiven Identität, aber auch Vernetzung.

Da zeigt sich, dass Verschwörungserzählungen mit Feindbildern arbeiten und die Realität in ihrer Komplexität reduzieren. Dieses Wissen kann beim Umgang mit ihnen hilfreich sein. Insofern waren wir nicht überrascht über die Bandbreite, aber manchmal tatsächlich etwas über das Ausmaß erschüttert. Da ist es gut zu sehen, dass viele schlaue Menschen dazu Stellung nehmen und kluge Hinweise geben. Mit unseren Interviews wollen wir einen niedrigschwelligen Zugang zu dem Feld schaffen, in dem auch positive Ansätze und Auswege formuliert werden.

Ist es geplant, die Reihe fortzusetzen und wenn ja, welche Gäste dürfen wir im Online-Talk der Grimme-Akademie noch erwarten?

Das können wir mit einem klaren „Ja“ beantworten. Aktuell planen wir Interviews mit Vertreter*innen von Strafverfolgungsbehörden und politischen Ämtern. Zum anderen möchten wir gezielt soziale Plattformen in den Blick nehmen. Staffel 2 von „Akademie fragt nach“ soll wieder abwechslungsreich und informativ sein. Langfristig werden wir die Reihe auch für andere Themen der Grimme-Akademie öffnen. Wir freuen uns schon drauf.

Astrid Obermanns, Judith Kirberger und Aycha Riffi, vielen Dank für das Gespräch. Wir freuen uns auf die Fortsetzung der Webvideo-Reihe zu „Verschwörungserzählungen“ und sind gespannt auf die weiteren Gesprächspartner*innen.

Verweise

[1] Dazu gibt es ein passendes Kurskonzept und dazugehörige, vielfältig einsetzbare Lernmaterialien. Das Angebot richtet sich insbesondere – aber nicht ausschließlich – an Multiplikator*innen, die mit jungen Zielgruppen arbeiten. Alle Inhalte können individuell angepasst werden. Informationen zur Modulbox auf den Seiten der Grimme-Akademie unter: https://www.grimme-akademie.de/presse/pressemeldungen/d/medienbildung-staerkt-junge-menschen-im-kritischen-umgang-mit-verschwoerungserzaehlungen (abgerufen am 02.03.2022); Download der Modulbox auf den Seiten des DVV unter https://www.volkshochschule.de/verbandswelt/projekte/politische_jugendbildung/modulbox-zu-verschwoerungserzaehlungen.php (abgerufen am 02.03.2022).

[2] Pressemeldung des Grimme-Instituts vom 02.11.2021: „Medienbildung stärkt junge Menschen im kritischen Umgang mit Verschwörungserzählungen“. Online auf den Seiten des Grimme-Instituts unter  https://www.grimme-institut.de/presse/pressemeldungen/d/medienbildung-staerkt-junge-menschen-im-kritischen-umgang-mit-verschwoerungserzaehlungen/ (abgerufen am 02.03.2022).