Update: September 2023

50 Jahre Bildung!

Das Grimme-Institut feiert in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen. Anlass für den Medienbildungshub, entlang ausgewählter Projekte und Aktivitäten zurückzublicken auf 50 Jahre Bildung in einem Institut, das eben nicht, wie gerne behauptet wird, primär gegründet wurde, um den Adolf-Grimme-Preis zu organisieren.

(Teil 1: „Modellversuch im Bildungswesen“ (unten) I Teil 2: Rundfunkdualismus und neue Medienwelten I Teil 3: Von der DVV-Trägerschaft zur gemeinnützigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung I Teil 4: „Stürmische Zeiten“ und Medienkompetenz in der Breite)

Foto: Grimme-Institut

Foto: Grimme-Institut

Teil 1
„Modellversuch im Bildungswesen“

1973 als Adolf-Grimme-Institut gegründet und seit November 1977 im ehemaligen Gebäude des Marler Bildungswerks „die insel“ beheimatet – einem lichtdurchfluteten Haus, das 1955 als erstes in der noch jungen Bundesrepublik eigens als Volkshochschule konzipiert und errichtet, 2005 kernsaniert, 2009 mit dem Westfälischen Denkmalpreis ausgezeichnet und 2014 in „Bert-Donnepp-Haus“ umbenannt wurde, obwohl der „insel“-Schriftzug auch weiterhin über den Eingangstüren thront – stellte das Institut von Anfang an die Erwachsenenbildung in den Vordergrund.

Schriftzug insel auf dem Dach des Grimme-Instituts; Foto: Grimme-Institut / Michael Schnell

Schriftzug „insel“ auf dem Dach des Grimme-Instituts; Foto: Grimme-Institut / Michael Schnell

Bereits seit 1964 wurde der vom Deutschen Volkshochschul-Verband (DVV) gestiftete Adolf-Grimme-Preis als bedeutende Auszeichnung für qualitativ herausragende Fernsehproduktionen vergeben. Erfunden hatte ihn Bert Donnepp, damals Direktor des Bildungswerks der Stadt Marl. Anfang der 1970er Jahre schwebte ihm und seinen Mitstreitern die „Gründung eines Instituts zur Erforschung der Fernsehwirkung und zur Medienerziehung“[1] vor. Dieses sollte sich „mit Fernsehprogrammforschung, Seminarangeboten für Programm-Macher, mit der Medienerziehung für Pädagogen, Jugendliche und Erwachsene, der Einrichtung einer fachbezogenen Biblio- und Videothek sowie der Beurteilung von ‚regionalen Dritten Programmen mit bildungsintensivem Charakter‘“ befassen.[2]

Schon der Namensgeber Adolf Grimme – von Haus aus Pädagoge, Kulturpolitiker und erster Generaldirektor des NWDR – hatte im Fernsehen ein großes erzieherisches Potenzial erkannt und „pochte auf die (…) bildenden Aufgaben des Mediums“[3]. Und so ging es auch den Institutsgründern „nicht um diese kulturpessimistische Haltung gegenüber dem Medium Fernsehen, die sich ja wirklich in vielen Diskussionen auch heute noch immer wieder zeigt. Stattdessen […] darum, die Chancen wahrzunehmen, die das Fernsehen bietet: Das war die Intention von Donnepp, das ‚Grimme Institut‘ zu gründen und die Arbeit dieses Instituts in Richtung ‚Bildung mittels Medien‘ auszurichten.“[4]

Büste von Bert Donnepp im Grimme-Institut (erstellt von Burkhard Klöter, enthüllt 2014); Foto: Grimme-Institut / Michael Schnell

Büste von Bert Donnepp im Grimme-Institut (erstellt von Burkhard Klöter, enthüllt 2014); Foto: Grimme-Institut / Michael Schnell

In einer Zeit, in der man in der Bundesrepublik Deutschland heftig über Bildung und Bildungschancen diskutierte, einige Reformen bereits auf den Weg gebracht hatte und viel Geld in neue Schulen und Universitäten investierte, startete also das Adolf-Grimme-Institut als ein „Modellversuch im Bildungswesen“, wie Donnepp es nannte.[5] Zwar wurde auch die Verleihung des Adolf-Grimme-Preises aus der Arbeit der Marler Volkshochschule herausgelöst und ab 1975 teilweise, ab 1977 vollständig dem Institut überantwortet – die Organisation des Preises stand in der ersten Geschäftsordnung des Adolf-Grimme-Instituts jedoch an letzter Stelle. „Davor standen die Aufgaben, mittels Fernsehen Bildung zu initiieren und die Erwachsenenbildung zu qualifizieren, mit dem Fernsehen zusammen Bildungsprozesse in Gang zu setzen und zu unterstützen.“[6]

Ausgestattet mit einer Anschubfinanzierung des damaligen Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft (BMBW, heute BMBF) ging das Adolf-Grimme-Institut also 1973 in Betrieb, um medientheoretische Bildungsarbeit zu leisten. All das geschah, wie viele seither umgesetzte Projekte zeigen, mit großer Weitsicht hinsichtlich der Fragen, die gesellschaftlich und innerhalb von Bildungskontexten relevant wurden.

Erwachsenenbildung im Medienverbund

Nachdem bereits im Gründungsjahr ein „Gesprächskreis Medien“ zur Unterstützung der Fort- und Weiterbildungsangebote im Fernsehen ins Leben gerufen wurde, an dem in Nordrhein-Westfalen das Institut, die Volkshochschulen und der Westdeutsche Rundfunk (WDR) beteiligt waren, beschäftigte sich das erste im Adolf-Grimme-Institut angesiedelte Projekt ab 1974 mit Elternbildung: Unter dem etwas sperrigen Titel „Soziales Lernen im Medienverbund“ und im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft wurden mediendidaktische Begleittexte zu TV-Sendungen wie die „Elternschule“, „Rappelkiste“ und „Kinder, Kinder“ erarbeitet. Projektbegleitend erschien die erste Ausgabe der Reihe „Hefte zur Medienpädagogik“. Das Projekt „Erziehen ist nicht kinderleicht“ (ab 1975) erarbeitete ein Konzept zur Elternbildung im Medienverbund und entwickelte Kurse, Handreichungen und Materialpakete. Ebenfalls im Medienverbund stand beim Projekt „Un-Ruhestand“ (1978) die „Altenbildung“ im Vordergrund. Seminar-Veranstaltungen widmeten sich der Darstellung der Arbeitswelt und der Frau im Fernsehen.

Die intendierte Funktion des Instituts als Schnittstelle zwischen Fernsehen und Weiterbildung übernahm ab 1976 im Rahmen der „wissenschaftlichen Dienstleistungen“ der Informationsdienst „agi-report“, der die Bildungssendungen der Fernseh- und Hörfunkprogramme auflistete und über Medienverbundprojekte informierte, sowie ab 1978 die Nachfolgepublikation „W&M Weiterbildung und Medien“, die zunächst als Beilage der letzten zwei Reportausgaben erschien, schließlich eine eigene Beilage erhielt: die „Mediendidaktischen Handreichungen“. Konkret stand die Nutzung des Fernsehens als Lehr- und Lernmedium im Vordergrund, unter anderem ab 1977 im Projekt „Medienverbund Englisch“ (mit dem Dritten Fernsehprogramm der ARD, der BBC und dem Europarat mit seinem Rat für kulturelle Zusammenarbeit), in dem Begleitkurse und Materialien erstellt wurden.[7]

Mediendidaktische Handreichungen, Beilage der Zeitschrift W&M 4 '79 (LWL Archivamt f. Westfalen, Archiv LWL, Best. 820/A 431); Foto: Grimme-Institut / Michael Schnell

Mediendidakt. Handreichungen, Beilage zu W&M 4 ’79 (Scan: LWL Archivamt f. Westfalen, Archiv LWL, Best. 820/A 431)

Nachdem bis etwa 1980 der Schwerpunkt der Institutsarbeit vornehmlich auf der Entwicklung und Umsetzung von Medienverbundprojekten gelegen hatte, taten sich mit den neuen Medientechnologien auch neue Arbeitsfelder auf. Pong war plötzlich auch auf der Flimmerkiste zuhause verfügbar, Angebote wie der Bildschirmtext (BTX) und der Tele- bzw. Videotext kamen hinzu, die ersten Arbeitsplatzcomputer von Apple und IBM hielten Einzug. Projekte wie „Neue Medientechnologien und Bildung“ (1980) analysierten die neuen technischen Möglichkeiten und entwickelten passende Bildungsansätze.

Als Institut des Deutschen Volkshochschul-Verbands widmete Grimme sich vor allem der Vernetzung und Kooperation mit den DVV-Landesverbänden innerhalb des Themenbereichs „Bildung und Medien“. Beispielhaft genannt seien Programme wie das ebenfalls durch das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft geförderte „Audiovisuelle Medien für die Weiterbildung von Weiterbildnern“ (1982), „Informationen über die Verwendung von Fernsehsendungen zur Weiterbildung“ (1983) oder das „Medienpädagogische Training“ (1979). Aus heutiger Sicht besonders spannend erscheint der Pressedienst „agiPRESS“ (ab 1982), der Informations- und Kommunikationsdefiziten entgegentreten sollte.

Das Adolf-Grimme-Institut entwickelte sich in den Folgejahren zu einem kulturpolitischen Zentrum mit, laut Geschäftsbericht von 1983, 27 Mitarbeiter*innen, die inhaltlich auf folgenden Arbeitsfeldern tätig waren[8]:

  1. Entwicklung und Erprobung von Modellen für die Zusammenarbeit von Erwachsenenbildung und Rundfunk,
  2. Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen zu Fragestellungen aus dem Kontext von Medien und Erwachsenenbildung, insbesondere aus dem medienpädagogischen Bereich,
  3. Durchführung praxisbezogener Medienverbundprojekte,
  4. pädagogische und technische Beratung von Einrichtungen der Erwachsenenbildung in der praktischen Mediennutzung,
  5. Sichtung des Fernsehangebots und Ermittlung von Sendungen, die für die Erwachsenenbildung geeignet sind,
  6. Information der Erwachsenenbildungseinrichtungen über Medienangebote und über die Entwicklung der Medien sowie natürlich
  7. die Aktivitäten rund um den Adolf-Grimme-Preis.
Buchstaben A, B und C auf einem Buchtext zum Leseverständnis; Foto: Grimme-Institut / Michael Schnell

Buchstaben auf einem Buchtext zum Leseverständnis; Foto: Grimme-Institut / Michael Schnell

Dem Bildungsanspruch wurde mit Medienverbundprojekten zu den Themen „Alphabetisierung“ (ab 1984), „Weiterbildung und Fernsehen“ (ab 1984) sowie „Französisch“ (1986) Rechnung getragen. Parallel wurden auch gesellschaftliche Entwicklungen, zum Beispiel sich verändernde Wohlstands- und Arbeitsvorstellungen auf dem Weg zur „Erlebnisgesellschaft“[9] mit Projekten wie „Was tun mit der Zeit? – Studien zu Medien, Freizeit und Erwachsenenbildung“ (ab 1984) in den Blick genommen.

Neben dem genannten Medienverbundprojekt widmete sich das AGI auch weiterhin dem Thema Alphabetisierung, z.B. mit der Tagung „Menschen ohne Schrift – Was tun?“ (1990) sowie mit zahlreichen Informationsveranstaltungen im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft und in enger Zusammenarbeit mit Volkshochschulen.

Verweise

[1] Dr. Juergen Krueger: Dokumentation über die Geschichte des Adolf-Grimme-Instituts Marl, entstanden als 1. Auflage im Rahmen des insel-Arbeitskreises „In Stadtgeschichte denken“. Marl 2005, S. 12.

[2] ebd.

[3] Johannes Blöcher-Weil: „Ein Christ muss Sozialist sein“. Auf den Seiten des PRO Medienmagazins online abrufbar unter: https://www.pro-medienmagazin.de/ein-christ-muss-sozialist-sein-das-ist-der-mann-hinter-dem-beruehmten-satz (vom 26.08.2023, abgerufen am 28.08.2023).

[4] Bayerischer Rundfunk, Alpha-Forum: Dr. Hans Paukens, Geschäftsführer des Adolf Grimme Instituts, im Gespräch mit Klaus Kastan (Sendung vom 28. Oktober 1999), als PDF-Manuskript abrufbar unter https://www.br.de/fernsehen/ard-alpha/sendungen/alpha-forum/hans-paukens-gespraech100.html (vom 17.11.2011, abgerufen am 09.08.2023), S. 3.

[5] zitiert nach Krueger, 2005, S. 12.

[6] Bayerischer Rundfunk, Alpha-Forum (1999/2011, s. oben), S. 2f.

[7] siehe: Krueger (2005), S. 12, und Unterrichtung durch die Bundesregierung. Bericht der Bundesregierung über die Lage von Presse und Rundfunk in der Bundesrepublik Deutschland (1978): Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode Drucksache 8/2264, S. 95.

[8] siehe Dr. Juergen Krueger: Geschichte des Adolf-Grimme-Instituts Marl, 2. Teil, Dokumentation im Rahmen des Insel-Arbeitskreises „Geschichtswerkstatt“. Marl 2010, S. 3.

[9] vgl. Horst W. Opaschowski: Probleme im Umgang mit der Freizeit. (Bd. 1 der BAT Schriftenreihe zur Freizeitforschung). Hamburg 1980, S. 8.