50 Jahre Bildung!

Das Grimme-Institut feiert in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen. Anlass für den Medienbildungshub, entlang ausgewählter Projekte und Aktivitäten zurückzublicken auf 50 Jahre Bildung in einem Institut, das eben nicht, wie gerne behauptet wird, primär gegründet wurde, um den Adolf-Grimme-Preis zu organisieren.

(zu Teil 1: „Modellversuch im Bildungswesen“ I Teil 3: Von der DVV-Trägerschaft zur gemeinnützigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung I Teil 4: „Stürmische Zeiten“ und Medienkompetenz in der Breite)

Teil 2
Rundfunkdualismus und neue Medienwelten

Das großgesteckte Thema „Fernsehen und Bildung“ spielte auch in der Entwicklung des Bürger- und Privatfunks eine entscheidende Rolle: So hatte die „Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems“ (KtK) in Deutschland zur Ermöglichung privater Hörfunk- und Fernsehveranstalter bereits Ende der 1980er Jahre erste Vorschläge zur Implementierung von Bildungsangeboten gemacht bzw. auf deren Notwendigkeit verwiesen. Mit den Kabelpilotprojekten gingen ab 1984 in der Bundesrepublik Deutschland neue Sender an den Start. Für Nordrhein-Westfalen erfolgte dieser Schritt in Dortmund und den umliegenden Ruhrgebietsstädten, wo nun bis zu 26 Fernsehprogramme sowie zusätzliche Hörfunkprogramme empfangen werden konnten. Unter dem Namen RTLplus ging Radio Luxemburg am 2. Januar 1984 mit einem TV-Programm auf Sendung.

3.4.1987 Unterzeichnung eines Medienstaatsvertrages durch die Regierungschefs der Bundesländer im Bundesrat. Von links: Lothar Späth, Franz-Josef Strauß, Eberhard Diepgen, Klaus von Dohnanyi, Holger Börner, Ernst Albrecht, Johannes Rau, Bernhard Vogel, Oskar Lafontaine, Uwe Barschel.

3. April 1987: Unterzeichnung eines Medienstaatsvertrages durch die Regierungschefs der Bundesländer im Bundesrat. Von links: Lothar Späth, Franz-Josef Strauß, Eberhard Diepgen, Klaus von Dohnanyi, Holger Börner, Ernst Albrecht, Johannes Rau, Bernhard Vogel, Oskar Lafontaine, Uwe Barschel. Foto: Bundesarchiv (leicht angeschnitten)

Spätestens nachdem 1987 die Bundesländer den „Staatsvertrag zur Neuordnung des Rundfunkwesens (Rundfunkstaatsvertrag)“ unterzeichnet hatten und sich einzelne Sender relativ schnell gute Einschaltquoten sichern konnten, war klar: Das Monopol des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) war gebrochen. Plötzlich erodierten die Sendezeiten, den bis dahin üblichen Programmschluss mit anschließendem Testbild gab es nicht mehr. Am Morgen, der in den dritten Programmen des ÖRR weitgehend dem Telekolleg, bildenden Kindersendungen wie der Sesamstraße und dem Schulfernsehen vorbehalten war, musste der öffentlich-rechtliche Rundfunk plötzlich mit Morgenmagazinen bzw. Frühstücksfernsehen von SAT.1 und RTL konkurrieren. Rasch wurde auch über die Qualität der vornehmlich auf Unterhaltung ausgerichteten Privatsender diskutiert, die Frage nach der Vermittlung von Wissen über die Bildschirmgeräte bekam eine neue Dimension: Wie kann verhindert werden, dass Fernsehen nur noch der „Berieselung“ der Zuschauer*innen diene? Wie stellt man sicher, dass gut aufbereitetes Wissen überhaupt noch auffindbar sein würde?

Auch das Radioprogramm veränderte sich – und so reagierte das AGI auf den Start des Lokal- und Bürgerfunks mit Projekten wie „Weiterbildung und lokaler Rundfunk“ (1989-91) und „Kooperative Modelle: Weiterqualifizierung von Multiplikatoren“ (ab 1992): Qualifizierungsprogramme für Weiterbildungseinrichtungen, Radiovereine etc., die am Bürgerfunk teilnehmen wollten.[1] Ab 1995 unterstützte die „Servicestelle Bürgerfunk“ des Adolf-Grimme-Instituts die Bürgerfunk-Szene mit Qualifizierungsmodulen und dem vierteljährlich erscheinenden Info-Dienst „B15“.

Hier zahlte sich aus, dass sich das Institut in seinen Publikationen wie dem ca. 20-seitigen, zweiwöchentlich erscheinenden Heft „agiPRESS“ (1981/83 bis 1985) bereits frühzeitig mit den Problemen des Bildungsfernsehens bzw. -hörfunks beschäftigt hatte. „Die Themenpalette dieser Beiträge reichte dabei von Zustandsbeschreibungen des Bildungsfernsehens bzw. Medienverbundes im Allgemeinen über Entwicklungen auf dem Videosektor und im Bereich der sogenannten Neuen Medientechnologien bis hin zum Vorstellen solcher konkreten Programmschwerpunkte wie ‚50 Jahre Machtübernahme‘ Anfang 1983. Zusätzlich wurde immer wieder über neue oder geplante Bildungsfernsehprojekte berichtet und mit Hintergrundinformationen über Konzeption und Produktionsablauf auf diese Sendungen orientiert. Eine feste Rubrik einer jeden Ausgabe war das ‚Datum‘, wo an fernseh-, rundfunk- oder programmhistorische Entwicklungen bzw. Ereignisse erinnert wurde.“[2] Neben der Programminformation in agiPRESS sowie der seit 1978 eigenständig und zweimonatlich erschienenen Publikation „W&M – Weiterbildung und Medien“ war die Arbeit des AGI eng mit den Sendern verbunden und es wurde ein konstruktiv-kritischer Kontakt gepflegt.

Videorecorder und Videokassette; Foto: Grimme-Institut / Michael Schnell

Neue Medientechnologien: Videorecorder und Videokassette; Foto: Grimme-Institut / Michael Schnell

Konkret ging es um Fernsehangebote mit Lehr-, Lern- und Qualifizierungsinhalten: Nachdem das Telekolleg I, ein Bildungsprogramm für Erwachsene, das Eigenstudium und teilweise auch die Erlangung der mittleren Reife ermöglichte, im Jahr 1984 „aufgrund nachlassender Nachfrage“[3] eingestellt worden war, wurde das AGI im Jahr 1989 vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft mit einem Medienverbundprojekt zur „Vorbereitung eines allgemeinbildenden Fernsehkollegs“ beauftragt, mit dem „die wichtigsten inhaltlichen und organisatorischen Elemente eines neuen Fernseh- und WeiterbiIdungsangebotes konzipiert werden sollten – unter Berücksichtigung aktueller Diskussionen und (Um-)Orientierungen in der Weiterbildung sowie der derzeitigen Situation von ‚Bildung‘ im Rundfunk.“[4] Trotz einer Verlängerung des zunächst auf ein Jahr befristeten Vorhabens konnte bezüglich der Erstellung eines neuen TV-Bildungsprogramms keine Einigung erzielt werden.[5]

Medienvermittelte Bildung in Zeiten des Mauerfalls

Die deutsche Wiedervereinigung spiegelte sich auch in der Institutsarbeit. So wurden beispielsweise die „Informationsveranstaltungen zur Alphabetisierung und ihren Implikationen für den Bildungsbereich (Schule und Weiterbildung)“ ab 1991 in den neuen Bundesländern durchgeführt – angesichts der Tabuisierung des Themas Analphabetismus unter Erwachsenen in der früheren DDR ein schwieriges Unterfangen.[6]

Das Projekt „Unsere Medien – Unsere Republik“ (1989), das die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland entlang seiner Mediengeschichte erzählte, wurde ab 1991 unter dem Titel „Deutsche Selbst- und Fremdbilder in den Medien von BRD und DDR“ erweitert und lieferte damit einen attraktiven und für die Erwachsenenbildung didaktisierten Zugang zur jüngeren deutschen Geschichte. In dem vom Bundesbildungsministerium geförderten Projekt, das 1994 mit einer zweitägigen Abschlussveranstaltung endete, entstanden eine fünfteilige Fernsehserie, eine Heftreihe und unterstützende Arbeitsmaterialien.

Zeitschrift Unsere Medien – Unsere Republik (März 1990)

Zeitschrift Unsere Medien – Unsere Republik (März 1990)

1991 widmete sich das Adolf-Grimme-Institut unter anderem dem Aufbau eines Netzwerks zwischen Medien-, Bildungs- und Kulturinstitutionen – vermutlich war dies schon die Arbeit des 1990 neu eingerichteten „Referats V: Kooperationen Erwachsenenbildung und Medien“. Die Hauptaufgabe dieses Arbeitsbereichs sollte darin bestehen, „den rasanten Veränderungen, die vor allem mit der Umstrukturierung des Rundfunksystems und damit auch im Verhältnis von Medien- und Bildungssystemen immer deutlicher hervortreten, konzeptionell und mit neuen strategischen Überlegungen gerecht zu werden.“[7] Und so gab es verschiedene Kommunikationsangebote (Veranstaltungen, Publikationen) und konkrete Projektaktivitäten (z.B. NETZWERK MedienBildungKultur).

Innerhalb des neuen Referats angesiedelt war von 1991-1994 auch das Projekt „Medien und Bildung im kommunikativen Netzwerk“, zu dem es rückblickend heißt: „Ein recht offener und assoziationsträchtiger Titel umschreibt dieses nun als Projekt organisierte Anliegen, das sich jedoch auf zentrale Aufgaben und Entwicklungen im Adolf-Grimme-Institut bezieht. Es geht um das Aufspüren und Erproben zeitgemäßer Zusammenhänge von Weiterbildung und (Massen-)Medien, um Kooperationsaktivitäten, die das als Medienverbund bekannte Verknüpfungsmodell erweitern und mit neuen Möglichkeiten bereichern wollen.“[8]

Im Mittelpunkt stand „die Weiterentwicklung und Öffnung des traditionellen Medienverbundes zwischen Erwachsenenbildung und Fernsehen, und zwar vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen und Umstrukturierungen in der Bildungs-, Kultur- und Medienlandschaft“. Auf der einen Seite stand dabei die „zunehmend bedrängte Stellung des ‚Bildungsfernsehens‘ im (öffentlich-rechtlichen) Mediensystem, finanzielle Engpässe und drastische Sparmaßnahmen, die den Bildungs- und Kulturinstitutionen mehr noch als den Rundfunkanstalten“ zu schaffen machten, auf der anderen „wachsende Konkurrenz der Institutionen in einer zunehmend unübersichtlichen Angebotsvielfalt, Verunsicherungen über ein sprunghaftes Rezipientenverhalten und Anforderungen an soziale Integration angesichts gesellschaftlicher Problemsituationen“.[9] „Netzwerke als innovative Milieus. Bildung, Kultur und Medien im Strukturwandel“ – unter diesem Titel wurden auf der Abschlusstagung des Projekts, die im März 1994 im AGI stattfand, die Projektergebnisse vorgestellt und diskutiert.

Ebenfalls 1991-1992 begleitete das vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft geförderte Projekt „Eine Welt für alle“ einen gleichnamigen Programmschwerpunkt in den ARD-Programmen, der zu einer Auseinandersetzung mit den globalen Fragestellungen von Umwelt und Entwicklung anregen sollte. In Kooperation mit der „Fachstelle für Internationale Zusammenarbeit des Deutschen Volkshochschul-Verbandes“ erarbeitete Grimme hierzu Angebote und stellte ein umfassendes Servicepaket zur umwelt- und entwicklungsbezogenen Bildungsarbeit zusammen.

Umschlagbild zum Video Happy Families

Umschlagbild zum Video „Happy Families“, einem Bestandteil des Medienpakets „Eine Welt für alle“; Bildgestaltung: Peter Holtfreter

Thematisch auf das Programm in Rundfunk und Fernsehen bezogen sich auch zwei Projekte, die im Jahr 1994 starteten: „Rechtsradikalismus und Fernsehen“ mit der Analyse von TV-Beiträgen und die „Initiative Interkultureller Rundfunk“, die die Präsenz von Mitbürger*innen anderer Hautfarbe und Herkunft in den Medien untersuchte.

In der Tradition der Initiative Interkultureller Rundfunk und früherer Bildungsprojekte, die sich für die Akzeptanz von Diversität in der Gesellschaft einsetzten (z.B. „Medienverbund: Ausländische Arbeitnehmer“ [1981], „Ausländer – Inländer“ [1982]), startete 1996 das große Ausbildungsprojekt „On Air – Mehr Farbe in die Medien“. Das Ziel war, die Sichtweisen und Interessen von Migrant*innen nicht länger in Nischenprogramme zu verbannen, sondern mehr multikulturelle Kreativität und Kompetenz in die Mainstream-Rundfunklandschaft zu bringen. Ein halbes Jahr lang absolvierten 20 talentierte Migrantinnen ein intensives journalistisches Training am Adolf-Grimme-Institut. Im Mai 1997 wechselten die angehenden Redakteurinnen dann in den Sendebetrieb, um ein Jahr lang in öffentlich-rechtlichen und privaten Sendeanstalten ihr Handwerk zu perfektionieren. Das Projekt „Mehr Farbe in die Medien“ wurde u.a. vom Europäischen Sozialfond (Gemeinschaftsinitiative Beschäftigung NOW), dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung und dem nordrhein-westfälischen Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr gefördert.

Teil 3 von „50 Jahre Bildung!“ folgt am kommenden Dienstag (12. September 2023)!

Verweise

[1] Dr. Juergen Krueger: Geschichte des Adolf-Grimme-Instituts Marl. 2. Teil. (Dokumentation im Rahmen des Insel-Arbeitskreises „Geschichtswerkstatt“). Marl 2010, S. 20.

[2] ebd., S. 4f.

[3] Wikipedia: Artikel „Telekolleg“, abrufbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Telekolleg (abgerufen am 14.08.2023).

[4] Krueger (2010), S. 11f.

[5] ebd., S. 13.

[6] ebd., S. 16.

[7] ebd., S. 20.

[8] ebd., S. 16.

[9] ebd., S. 23.